Förderpreis 2012: TSV Bordenau

Newcomerpreis 2012: Gruppe „Support-Bordenau“

Foto aus der Leinezeitung vom 24.9.2012: Der TSV-Vorsitzende Dietmar Scholz (rechts) erhält den Förderpreis von Dr. Werner Besier

Stiftungsfest am 21.9.2012 im DGH: Foto aus der Leinezeitung vom 24.9.2012: Der TSV-Vorsitzende Dietmar Scholz (rechts) erhält den Förderpreis von Dr. Werner Besier

Einladung Stiftungsfest 2012

 

 

 

Der diesjährige Förderpreisträger ist männlich, hat aber auch viele weibliche Elemente in sich, ungefähr zwischen 355 (1997) und 430 (2002). Er hat seinen Namen schon einmal gewechselt, im Laufe meiner 12-minütigen Ausführungen möchte ich Ihnen mitteilen, ob das mit einer Eheschließung zusammenhängt, bei der ein Partner den Namen des anderen annimmt und den eigenen aufgibt – oder nicht.
Also, der diesjährige Förderpreisträger ist …aber ich muss Sie ja jetzt noch ein bisschen auf die Folter spannen; „auf die Folter spannen“ -, mit was für Metaphern arbeiten wir hier denn? Folter ist doch inhuman und in allen zivilisierten Gesellschaften seit 250 Jahren verboten.
Aber Zivilisationsbrüche kommen ja leider vor und deshalb darf ich die Metapher in unserem Fall nur behutsam verwenden.
Also unser Preisträger hat bei seinem Namenswechsel darauf geachtet, dass die Zahl der Buchstaben für seinen Namen gleich blieb, es blieben drei. Im Laufe seines weiteren Lebens hat er sich aber einen Zusatz verschafft, der auch offiziell in eine Dokumentenrolle eingetragen und beim AG zunächst unter der Nr. 333 geführt wurde. Jüngst wurde diese Nr geändert in 110.098. Das geschah auch deswegen, weil sich der Anlass für den Zusatz, quasi sein Inhalt geändert hatte.
Der Preisträger ist auch nach heutigen Maßstäben alt, aber er hat dennoch mehr jugendliche Elemente in seinem Körper als jeder andere seiner Art, nämlich ungefähr 380 (2002).
Und unser Preisträger hat mehr Glieder als andere, nämlich 10, bzw. 8 (2010), wobei diese wieder Unterglieder haben, allerdings unterschiedlich viele, in einem Falle sogar 443. Und damit diese alle funktionieren, gibt es Übungsleiter, nämlich 28 (2001) und 52 (2010).

Also, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will Sie erlösen: Der Förderpreisträger der STIFTUNG BORDENAU 2012 ist der TSV Bordenau von 1922 e.V.

Die Auflösung der Verschlüsselungen lautet daher wie folgt:
Der TSV ist männlich.
Die vielen weiblichen Elemente sind seine weiblichen Mitglieder.
Sein ursprünglicher Name war MTV (Männerturnverein)
Bei seiner Neugründung 1945 nahm er den Namen (TSV Turn-und Sportverein) an.
Daher blieb die Zahl seiner Namensbuchstaben gleich.
Seit dem 28.Mai 1971 ist der TSV ein beim Amtgericht eingetragener Verein und darf sich TSV Bordenau von 1922 e.V. nennen. Damit hatte er auch seine erste eigene Satzung.
Mit der neuen Satzung bekam der TSV Bordenau 2006 auch eine neue Nummer im Vereinsregister.
Der TSV wird dieses Jahr 90 Jahre alt und das ist doch ganz schön alt, aber seine vielen jugendlichen Mitglieder halten ihn jung.
Der Verein ist untergliedert in acht bzw.10 Sparten, wobei die Turnsparte mit Leichtathletik zusammen 443 Mitglieder hat. Es folgen Fußball mit 266, Tischtennis mit 90, JuJutsu mit 60, Pétanque mit 60, Basketball mit 46, Schwimmen mit 33 und Handball mit 7. Das sagt die Mitgliederstatistik von 2007.
Zwischen 2001 und 2010 ist die Zahl der Übungsleiter von 28 auf 52 gestiegen, ohne dass sich die Gesamtmitgliederzahl erhöht hätte. Außerdem sind noch über 100 Ehrenamtliche im Einsatz, die unseren Preisträger am Leben halten.
2011 hatte der Gesamtkörper 880 selbstbewusste Glieder.

Der Preisträger hat aber auch sozialpolitische Ansprüche, und zwar besonders sowohl im Bereich der Jugend als auch dem des Alters. So heißt es im Rechenschaftsbereicht 2011 für die Fußball F-Junioren der Jahrgänge 2003 und 2004, also der sieben- und achtjährigen Jungen: „Die Kinder [konnten sich] individuell gut entwickeln, da sie viele Einsatzzeiten bekamen und in zahlreichen Spielen auch auf unterschiedlichen Positionen Verantwortung übernehmen mussten.“ Ich will hier mal keine neoliberale Unternehmerideologie kritisieren, sondern feststellen, dass es um Persönlichkeit, Leistung und Gemeinschaftssinn geht. Und das ist doch positiv. Es finden Kinder- Discos statt (2010 mit 90 TeilnehmerInnen) und es gibt Kinderturnen ohne Eltern für Fünf- bis Sechsjährige und die Boule-Sparte veranstaltet Hot-Dog-Turniere.
Für die über 70-Jährigen gibt es den jährlichen Kaffeenachmittag, häufig mit Programm. Im letzten Jahr haben 64 Gäste daran teilgenommen. Bei den Oldie-Nights kann sich wohl jeder und jede altersmäßig zuordnen.
Die Pétanque-Sparte veranstaltet Eltern-Kind-Turniere und fördert damit die Jugend und den Generationen übergreifenden Zusammenhalt. Die Turner handeln ähnlich, da sie Eltern-Kind-Turnen für Drei-bis Vierjährige anbieten.
Die Wanderer erkunden Hannover und die Tischtennisspieler und die Fußballer führen Bürgerturniere durch, also für Teilnehmer, die nicht Vereinsmitglieder sind.

„Der TSV ist ein starker Verein“, schätzt sich der Vorstand einmal selber ein. „Hier kann man, wenn man will“ Gemeinschaft erleben, oft über den Sport hinaus.“ Das ist wichtig: die Entscheidung ist freiwillig, nicht jede(r) muss jederzeit und überall mitmachen, kann sich aber für die beglückende Erfahrung des menschlichen Miteinanders frei entscheiden.
Vor Ideologie muss man freilich immer auf der Hut sein, also der unkritischen Legitimierung bestehender Verhältnisse. Mir scheint, die Jahreshauptversammlungen müssen nicht immer harmonisch verlaufen, denn Harmonie ist keine demokratische Kategorie. Der alte Ruf der Turner „Auf zum Streite“ gibt doch seit Jahrzehnten Orientierung: im sportlichen Wettkampf fair konkurrieren, also zusammenkommen. Es zeugt von diskussionswürdigen unterschiedlichen inhaltlichen Zielvorstellungen innerhalb des TSV, wenn die Turnbrüder- und -schwestern einerseits Gemeinschaft erleben wollen, die doch wohl von Zuwendung, Solidarität und Unterstützung lebt, andererseits aber der Überzeugung sind, dass in dieser vorgeblichen „Leistungsgesellschaft“ nur der „respektiert“ werde, der „fit und wehrhaft“ ist.

Frisch, Frei, Fröhlich, Fromm – so traten die Jünger des Turnvaters Jahn 1810 in der Hasenheide in Berlin an. Und in dessen Tradition wurde der Männerturnverein Bordenau am 22. Oktober1922 in der Gastwirtschaft Sprengel gegründet. Aber das war nicht mit einer Persönlichkeit verbunden, die sich frei entfalten konnte, wie unsere Verfassung das in Artikel 2 garantiert; sondern ein Bürger, der sich der kollektiven Freiheit der Nation gegen ausländische Hegemonie widmete. Friedrich Ludwig Jahn war wohl Antisemit und sicher auf „deutsches Volkstum“ gegründeter Nationalist. Und von diesem Geist war auch die Deutsche Turnerschaft noch beseelt, der der MTV gleich beitrat, damit er ab 1923 an den Scharnhorstläufen teilnehmen konnte, die vom DTB seit 1922 veranstaltet wurden.
Aber widersprüchliche Ideologie gab es auch schon bei Jahn, denn er forderte auch Freiheit von Vorurteilen, kämpfte gegen die Fürsten und wie Scharnhorst für die Gründung der deutschen Nation.

Die Geschichte des TSV Bordenau ist eine Geschichte von Siegen und Emanzipation, welches wesentliche Gründe für die Entscheidung der STIFTUNG BORDENAU gewesen sind, dem TSV Bordenau ihren Förderpreis 2012 zu geben. Niederlagen sind genau so normal wie Siege, der Umgang mit ihnen macht allerdings den Unterschied. Öfter mal hat der TSV ein Handballturnier verloren, aber den Fairnesspreis bekommen. Er hat daraus nicht die auch heute noch grassierende falsche Schlussfolgerung gezogen: Nur wer betrügt, gewinnt. Darin kann keine menschliche Zukunft liegen. Und deshalb ist der TSV fair geblieben und hat auch gewonnen. (Aus dialektischen Gründen möchte ich aber daran erinnern, dass es auch positive Lügen geben kann, um wie Jakob der Lügner Leben zu retten oder wie Woody Allen die Mühen des Alltags durchzustehen)

1923 gewann der MTV schon den Scharnhorstlauf, wie später mehrmals noch, 1924, als der Verein 71 Mitglieder, also wie heute etwa ein Drittel der Einwohnerschaft in seinen Reihen hatte, wurde die Handballsparte gegründet und 1925 nahm der Männerturnverein bereits weibliche Mitglieder auf.
Der MTV hatte damals bereits soviel Vertrauen erworben, dass man ihm die Ausrichtung des Bezirkssportfests am 30. August 1925 übertrug. In der Ausschreibung, die vorliegt und in der Vereinschronik erscheinen wird, ist eine 100 m lange Rasenbahn und eine 400 m Rundbahn vorgesehen. Ich frage mich, ob das wirklich auf dem Sportplatz im Werder möglich war.

Als dann die deutschnationale völkische Gesinnung im Nationalsozialismus gipfelte, löste sich der MTV durch Versammlungsbeschluss auf, meldet die Leine-Zeitung am 26.06.1937. Als Grund wurde Mangel an aktiven Turnern angegeben, die waren alle von der SA aufgesogen worden. Ideologisch überraschend war das nicht, denn die DT hatte gleich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten das Tragen von NS-Uniformen bei ihren Versammlungen ausdrücklich gestattet, die DT zum „besten Begleiter und Kamerad der SA“ erklärt und den sog. Arierparagraph eingeführt, also den Ausschluss von Juden. Da bestand durchaus Kontinuität von Jahn durch die deutsche Geschichte, stand doch z. B. das Bezirkssportfest am 21./22. Juni 1931, an dem Fritz Kruse teilnahm und mit 100 Punkten im 12-Kampf 14. Sieger wurde, unter dem Motto „Deutsche Kraft, Deutsche Arbeit, Deutsche Freude“.
Aber es ist doch bemerkenswert, dass sich der MTV, ebenso übrigens der SV, selbst auflöste. Es ist nicht klar, ob er gleichgeschaltet im NS-Reichsbund für Leibesübungen hätte überleben können.

Heißt es auf der alten Fahne von 1926 noch „Stähl’ die Sehnen, deutsche Jugend, Wahr im Herzen Ehr und Tugend“, so wurde auf diesen nationalistischen Spruch in der Tradition Jahns verzichtet, als man feststellte, dass die alte Vereinsfahne nicht restaurierbar (nomen est omen) war und 2002 eine neue angeschafft wurde. Tradition wurde übernommen und weiter getragen, denn Tradition kommt von tradere = tragen. Nur wer sich verändert, bleibt sich selber treu – und so wäre der Ehrforderung von 1926 im Jahre 2002 entsprochen worden.
Wetterte Jahn noch gegen die „Ausländerei“, so setzt sich die Sparte Capoeira im Jahre 2006 die Integration durch Sport zum Ziel, „besonders ausländische Jugendliche [sollen] angesprochen werden“. Außerdem sind Asylbewerber und ALGII-Empfänger beitragsfrei.
Fast genau 23 Jahre seit der Gründung des MTV wurde er am 21.10.1945 unter dem Namen TSV Bordenau von 1922 neu gegründet. Im damaligen Gemeindebüro, das sich im Hause Büsing, heute Quincke befand und in dem der von der englischen Militärverwaltung eingesetzte Gemeindedirektor Heinrich Ernst arbeitete, versammelten sich Fritz Wilhelms, Otto Sprengel jun., Heinrich Ostermeyer 1, Martin Jathe, Heinr. Wickbold, Heinr. Reddert, Lore Bremer, Otto Sprengel, Wilhelm Sprengel, Heinr. Ostermeyer 112, Fritz Scharnhorst, Willi Schulz, Sophie Segelke. Zum Vorsitzenden wurde Fritz Wilhelms gewählt, Lehrer Hans Zühlke, der gar nicht anwesend war, zum stv. Vorsitzenden, zur Schriftführerin Sophie Segelke, Otto Sprengel zum Kassierer und Heinrich Wickbold zum Geräte- und Turnwart.
Am 19.Juni 1950 berichtet die LZ vom Bordenauer Sportsgeist, der dem TSV auch heute wieder eigen sein möge: Bordenau wurde Pokalturniersieger in Poggenhagen mit einem 4:3-Sieg (1:3) über Seelze. Die Zeitung schrieb: „Die technisch reiferen Seelzer … wurden von den physisch überlegenen und temporeicheren Bordenauern in der 2. Halbzeit kämpferisch niedergewalzt. … Bordenau besitzt das beste Spielermaterial von allen Dorfvereinen im Kreis Neustadt. Aber alles sind es noch ‚ungeschliffene Diamanten’. Die Mannschaftszusammen-arbeit des Siegers war harmonisch. Herausragende Kräfte der Mittelläufer Opatzek und die beiden Außen Dittert und Schwedhelm, die allerdings immer zu weit nach innen standen.“ Torschützen Lehmann, Dittert, Kania, Grüner.
Und weiter: Bordenau gegen Neustadt, das den „schlappsten Eindruck“ machte 3:1 (0:1). Es war Hitze, es gab matte Leistungen. „Dabei dominierten die Kreisstädter in jeder Beziehung: technisch und taktisch waren sie eine Klasse besser als Bordenau und spielten in der 1. Halbzeit ihren Gegner nach allen Regeln der Kunst aus. Die Überlegenheit war geradezu demoralisierend. Neustadt konnte es sich leisten, ganze Strecken lang aus dem Stande zu spielen. Es boten sich auch ganze Serien von Torgelegenheiten, aber alle wurden vergeben. Darunter sogar ein Elfmeter. Der Ehrentreffer, der die Neustädter Halbzeitführung brachte, war eine Einzelleistung von Rosenthal. Nach der Pause wurde dazu noch ein Mann aus Bordenau vom Schiedsrichter hinausgestellt. Aber Neustadt konnte sich immer noch nicht zu einer Energieleistung aufraffen. Dafür aber die Bordeanauer! Sie legten einen Endspurt ein, der bewunderungswürdig war. Ihr Rechtsaußen Dittert schoß den 1.Treffer. Nach einem Torhüterfehler des Neustädter Cerberus Klein schoß Rechtsaußen Grüner die 2:1-Führung heraus, und ein Selbsttor des Neustädter Verteidigers Pahl besiegelte das Schicksal der Leinestädter. Endresultat 3:1. Den Pokal also gewann die kämpferisch bessere Mannschaft und das war Bordenau.“
Kämpfen, Siegen, Verlieren können. Den Gegner nicht als Feind sehen, den WettStreit kultivieren. Das sind auch die Tugenden des TSV Bordenau.
Und wenn der Sport den Menschen zum gesunden und geselligen Wesen macht, so wandte sich der TSV Bordenau auch der Veredelung der menschlichen Natur im engeren Sinne zu, indem er eine Gesangs-und Theatergruppe unterhielt und nicht vergessen werden soll, dass der Spielmannszug – heute das Fanfarenkorps – aus dem TSV hervorging.
Die Entfaltung der Persönlichkeit, die Kultivierung der Sitten, das Weiten des Horizonts, das muss man wollen.

Als der Schirmherr anlässlich des IBBT 2006 eine Europafahne überreicht, heißt es dazu, die Fahne solle den europäischen Geist dieser Veranstaltung weiterprägen. Der TSV, so scheint uns, atmet den Geist der Zeit, der aus der Tradition in Freiheit nur nach Europa führen kann. Kleinmut, Provinzialismus und Verzagtheit sind seine und unsere Sache nicht.

Herzlichen Glückwunsch zum Förderpreis der STIFTUNG BORDENAU 2012!

Verlesung der Urkunde. Überreichung.
Die Laudatio hielt Dr. Werner Besier